Sturmtief im Schloss Bellevue

In der Zeit über Weihnachten und den Jahreswechsel gab es in der Hauptstadt ein anderes Thema als die Schuldenkrise der Eurostaaten: unseren Bundespräsidenten. Nach dem ersten Schrecken über die massiven Vorwürfe der Bildzeitung gegen Christian Wulff, er habe versucht, die Presse an der Berichterstattung über seinen Privatkredit zu hindern, hofften bundesweit sicher noch viele Deutsche, die Affäre werde sich bald zu Gunsten des Bundespräsidenten aufklären. Statt dessen nahm die Krise im Schloss Bellevue immer weitere Ausmaße an.

Das lag vor allem an Herrn Wulffs Umgang mit den ihm entgegen gebrachten Vorwürfen. Anstatt sich ihnen geradeheraus zu stellen und mit der Offenlegung aller Fakten für eine schnelle Aufklärung zu sorgen, gab er scheibchenweise Auskunft und verstrickte sich dabei in Widersprüche. Christian Wulff verlor so immer weiter an Glaubwürdigkeit, die er auch mit seinem vielbeachteten Fernsehinterview nicht zurückgewinnen konnte. Interessant erschienen mir in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der Umfragen, in denen deutsche Bürgerinnen und Bürger um ihre Meinung zu dem Vorfall gebeten wurden: zwar fanden über 50 Prozent den Auftritt des Bundespräsidenten in seinem von den Öffentlich-rechtlichen ausgestrahlten Interview wenig überzeugend, dennoch gaben zeitweise über die Hälfte von ihnen gemäß der Umfrageergebnisse an, er habe „eine zweite Chance verdient“. Was zeigt uns das? Ich denke, es zeigt vor allem, dass es sich hier um eine Krise handelt, der nicht auf der Ebene juristischer Spitzfindigkeiten zu begegnen ist. Mit einem gesundem Menschenverstand lässt sich ein Fehltritt mitunter verzeihen. Dazu bedarf es jedoch zum einen einer Gradlinigkeit und Transparenz im Umgang mit diesem Fehler, der ein erneutes Vertrauen in unser Gegenüber möglich macht. Zum anderen müssen die Handlungen dieser Person für uns nachvollziehbar bleiben. Christian Wulffs Privatkredit, seine Nachricht auf der Mailbox des Chefredakteurs der Bildzeitung, die Finanzierung der Garderobe seiner Ehefrau und anderes mehr sind sicher für viele nur bedingt nachvollziehbar. Noch weniger sind es allerdings seine Reaktionen auf die Konfrontation mit diesen Tatsachen.

Dem Amt des Bundespräsidenten wohnt laut Verfassung eine Repräsentationsfunktion inne. Das bedeutet für den Amtsinhaber auch, Vorbild zu sein. Christian Wulff versuchte in seinen Rechtfertigungen zu den ihm entgegen gebrachten Vorwürfen immer wieder, die Privatperson Wulff von der des Bundespräsidenten zu trennen. Vorbild kann man jedoch nur in seiner Lebensführung – durch besondere Leistungen, Glaubwürdigkeit und moralische Integrität – sein und in einer solchen sind Amt und Privatmensch schwerlich voneinander zu trennen. Ich erwarte von einem Bundespräsidenten nicht nur eine Amts- sondern auch eine Lebensführung, die den Prinzipien von Wahrhaftigkeit und geistigem Vordenken entspricht.

Vor diesem Hintergrund wird einmal mehr verständlich, weshalb das Amt des Bundespräsidenten als einziges in der Verfassung mit einer Mindestaltersgrenze verbunden ist: sie soll sicherstellen, dass nur erfahrene Persönlichkeiten dieses Amt bekleiden. Da überrascht es, wenn Herr Wulff nach eigenen Angaben meint, in sein Amt als Bundespräsident erst hineinwachsen zu müssen. Die Vorwürfe der letzten Wochen haben dem Ansehen Wulffs und dem Amt des Bundespräsidenten geschadet. Jetzt gilt es, weiteren Schaden abzuwenden und die Vorbildfunktion, auf die dieses Amt fußt, sowie das Vertrauen, das die Bürgerinnen und Bürger ihm entgegen bringen, wiederherzustellen.

Einen Großteil der Deutschen lässt die Beschäftigung mit dem Fall Wulff nun bereits seit einigen Wochen nicht los. Mit dieser Beschäftigung sollte auch das Nachdenken darüber verbunden sein, wie man selbst in einer ähnlichen Situation handeln würde. Wichtig ist sicher, sich neben festen Grundsätzen einen kritischen Blick auf das eigene Handeln zu bewahren, um es stets daran zu messen können!