Interview zur Arbeit im Untersuchungsausschuss NSU

Arne Martius, Redakteur für die Thüringer Allgemeine Lokalteil Ilmenau, befragte den Thüringer Abgeordneten Tankred Schipanski (CDU) zu seiner Arbeit im Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ des Deutschen Bundestages. Der Vollständigkeit halber lesen Sie hier das Interview ergänzend zur Berichterstattung in ungekürzter Länge:


Martius: Auf welche Weise wurden Sie Mitglied im Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“– auf freiwilliger Basis oder nach Entscheidung der Fraktion?

Schipanski: Selbstverständlich ist sowohl meine Bereitschaft als auch die Entscheidung der Fraktion Voraussetzung für meine Mitgliedschaft in dem Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ gewesen. Als Thüringer Bundestagsabgeordneter habe ich mich ohne Zögern dazu bereit erklärt, an der Aufklärung der Straftaten der Terrorgruppe mitzuarbeiten. Die Fraktion ist dem Personalvorschlag gefolgt.

Martius: Welche Eignungen bringen Sie für die Mitgliedschaft in besagtem Ausschuss mit?

Schipanski: Ich bin stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss und verfüge als Rechtsanwalt über juristisches Fachwissen, das bei der Arbeit in diesem speziellen Gremium sehr hilfreich ist. Außerdem werden mir gesunder Menschenverstand und Objektivität helfen, die Faktenlage und beispielsweise die Sachverständigenberichte und Zeugenaussagen richtig zu bewerten.

Martius: Über welche Erfahrungen verfügten Sie zuvor über die Arbeitsweise von Geheimdiensten?


Schipanski:
Erfahrung über die Arbeitsweise von Geheimdiensten haben nur die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, die die Tätigkeiten der Nachrichtendienste des Bundes überwachen. Beispielsweise ist der Obmann der CDU/CSU im Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, hier Mitglied. Ganz bewusst haben die Fraktionen aber nicht nur Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums für den Untersuchungsausschuss ausgewählt, damit verschiedene Sichtweisen und Erfahrungen in die Ausschussarbeit eingebracht werden. So können Sie insgesamt feststellen, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses ganz unterschiedliche Hintergründe haben.

Martius: Welche Erkenntnisse haben Sie bislang in Ihrer Funktion als Ausschuss über die Arbeit von Geheimdiensten gewonnen? Welche Defizite erkennen Sie?

Schipanski: Wir beschäftigen uns im Ausschuss mit der Struktur und der Effektivität der deutschen Sicherheitsbehörden. Gegenwärtig sind wir noch dabei, uns einen Überblick über die Arbeitsweise und das Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden zu verschaffen. In dieser Woche tagt der Untersuchungsausschuss zum zweiten Mal. Daher wäre es zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht über mögliche Defizite zu spekulieren.

Martius: Fühlen Sie sich hinreichend von den zuständigen Verantwortlichen des Verfassungsschutz’ informiert?

Schipanski:
Wir arbeiten sehr eng mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie den anderen Aufklärungsgremien zusammen. Nur gemeinsam können wir es schaffen, alle wichtigen Informationen zusammenzutragen und zu bewerten. Daher strukturieren wir gegenwärtig den Untersuchungsgegenstand und werden arbeitsteilig vorgehen. Wir haben zwei Beweisanträge beschlossen, auf deren Grundlage wir im Wege der Amtshilfe beim Thüringer Innenministerium und dem Thüringer Justizministerium um verschiedene Informationen bitten. Thüringen wird somit das erste Bundesland sein, mit dem der Ausschuss zusammenarbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit reibungslos klappt und als Vorbild für die anderen Bundesländer dienen kann.

Martius: Wie konkret müssen sich Ihre Wähler die Arbeit im Ausschuss vorstellen (Sitzungsanzahl, Akteneinsichten, Befragungen – vielleicht könnten Sie den Ablauf einer Sitzung schildern)?

Schipanski: Die Arbeit im Untersuchungsausschuss unterscheidet sich von der Arbeit in klassischen Ausschüssen. Mitglieder in Untersuchungsausschüssen haben besondere Rechte. Sie können Zeugen und Sachverständige vorladen und vernehmen und sonstige Ermittlungen durch Gerichte und Verwaltungsbehörden veranlassen. Der Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe NSU tagt immer donnerstags in den Sitzungswochen, in der Regel den ganzen Tag lang. In Vorbereitung dazu treffe ich mich dienstags zu einer Arbeitsgruppensitzung mit den Kollegen aus der Fraktion. Daneben müssen Akten durchgearbeitet und Material in der Geheimschutzstelle des Bundestages gesichtet werden. Das Material ist in diesem Fall sehr umfangreich und umfasst insgesamt mehrere tausend Seiten.

Martius: Ist für Sie zum jetzigen Zeitpunkt absehbar, welche Konsequenzen die Vorfälle für die künftige Arbeit von Geheimdiensten haben wird? Haben Sie eine Position?

Schipanski: Erklärtes Ziel unserer Arbeit ist die lückenlose Aufklärung der Geschehnisse rund um die Mordserie der Terrorgruppe. Auf der Grundlage unserer Erkenntnisse werden wir dann Empfehlungen erarbeiten, besonders im Hinblick auf die Struktur und die Effektivität der Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden. Über Konsequenzen zu sprechen, bevor die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses feststehen, wäre verfrüht. So verstehe ich zum Beispiel auch die Forderung der Linken Landtagsfraktion nicht, das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz aufzulösen. Auch der Thüringer Untersuchungsausschuss steht ja noch am Anfang seiner Ermittlungen.

Martius: Sie haben eine konkrete Haltung zur Überwachung der Linken durch das Amt für Verfassungsschutz geäußert. Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass es bei der Überwachung dieses politischen Lagers nicht auch Defizite von Geheimdiensten geben könnte?

Schipanski: Diese Frage steht nicht im Zusammenhang mit meiner Arbeit im Untersuchungsausschuss, ich gebe Ihnen aber gerne Antwort darauf. Unverzichtbare Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, jede Form von Extremismus zu verfolgen. Dazu zählen beispielsweise Linksextremismus, Rechtsextremismus sowie Islamismus – und zwar gleichermaßen. Das zu betonen ist mir wichtig. Wenn es also bei einigen Mitgliedern der Linkspartei verfassungsfeindliche Tendenzen gibt, dann müssen diese auch überwacht werden. Selbstverständlich aber trifft es zu, dass nicht alle Mitglieder der Linkspartei unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablehnend gegenüberstehen. Es gibt derzeit keinerlei Anlass für mich zu glauben, dass der Verfassungsschutz nicht rechtmäßig arbeitet.

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