Steigende Flüchtlingszahlen: Herausforderung oder Überforderung?

Weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Ein wachsender Anteil von Asylbewerbern sucht Schutz in der Europäischen Union, die Staats- und Regierungschefs verhandeln über gemeinsame Lösungswege. Wie schwierig das ist, zeigt das Ringen um verbindliche Aufnahmequoten. Auch bei uns in Deutschland steigen die Flüchtlingszahlen derzeit rasch an. Für das Jahr 2015 rechnet der Bund mit 450.000 Asylanträgen. Rund 12.000 Asylbewerber erwartet Thüringen. Keine Frage, diese Zahlen stellen Bund, Länder und Kommunen vor große Herausforderungen. Wie gehen wir damit um, sind wir bald überfordert, brauchen wir neue Gesetze? Ich meine nein. Wir haben schon heute ausreichende Regeln, wir müssen sie aber besser anwenden.

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – das haben wir in unserem Grundgesetz festgeschrieben. Es ist nicht nur eine gesetzliche, sondern auch eine menschliche Pflicht, denjenigen zu helfen, die durch Krieg, gewaltsame Konflikte oder politische Verfolgung heimatlos geworden sind. Die Hilfsbereitschaft in Deutschland ist groß. Dort, wo die Zahl der Asylbewerber aber sehr schnell steigt und Kapazitätsgrenzen erschöpft sind, kann die Solidarität der Gesellschaft zurückgehen. Auch diese Beispiele gibt es in Deutschland.

Zur Wahrheit gehört, dass wir nicht alle Menschen bei uns aufnehmen können. Zuflucht finden bei uns die Verfolgten und Schutzbedürftigen, nicht aber diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen – so persönlich nachvollziehbar dies auch ist, das will ich betonen. Fakt ist, dass Menschen aus den Balkanstaaten, die aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage ihrer Länder nach Deutschland kommen, so gut wie keine Chance auf Anerkennung des Asylantrags haben. Ihre Bewerberzahl war aber im ersten Jahresdrittel fast dreimal so hoch wie die aus Syrien. Ein dringendes Ziel muss es deshalb sein, die Asylverfahren zu verkürzen.

Der Bund hat auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert und seine Hilfen für Länder und Kommunen bei der Unterbringung von Asylbewerbern auf eine Milliarde Euro verdoppelt. Ab 2016 wird er sich dauerhaft an den Kosten beteiligen. Der Zugang zu Integrationskursen und berufsbezogener Sprachförderung wird ausgebaut, das Bleiberecht ausgeweitet. Um Asylverfahren schneller bearbeiten zu können, erhält das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitere 2000 Stellen. Hier sind auch die Länder gefordert, Verwaltungsgerichte und Ausländerbehörden mit ausreichend Personal auszustatten. Die Verfahren könnten zudem beschleunigt werden, wenn Asylbewerber so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder verbleiben, bis ihr Antrag beschieden wurde. Sind sie nicht asylberechtigt, sollte die konsequente Rückführung durch die Länder von dort aus geschehen. Das würde die Kommunen erheblich entlasten. Selbstverständlich ist Rückführung für die Betroffenen eine schwierige Situation und auch für die eingesetzten Polizisten nicht leicht. Doch wir benötigen die Kapazitäten dringend für die Schutzbedürftigen.

Häufig wird im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte argumentiert, dass wir in Deutschland Zuwanderung brauchen, um unseren Fachkräftebedarf zu decken. Das ist richtig. Wir benötigen aber kein neues Gesetz, denn neben dem Asylrecht haben wir im Aufenthaltsgesetz bereits heute klare Regelungen zur qualifizierten Zuwanderung.

Unsere Asyl- und Zuwanderungspolitik besagt also: Ja zum Asyl für tatsächlich Verfolgte, nein zum Asyl aus wirtschaftlichen Gründen und ja zu qualifizierter Zuwanderung. Die Regeln sind da, wir müssen sie aber besser anwenden und die große Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort aufrechterhalten. Wenn uns das gelingt, dann wird die wachsende Zahl der Asylbewerber zwar eine Herausforderung bleiben, aber am Ende keine Überforderung sein. Bund, Länder und Kommunen stehen dabei in einer Verantwortungsgemeinschaft.