10 Jan Debatte ehrlich führen
Eine Formulierung in einem CSU-Papier zum Thema Armutszuwanderung hat eine breite öffentliche Debatte ausgelöst. Es ist gut und richtig, diese Diskussion über das Thema Zuwanderung zu führen. So können wir ihre Chancen deutlich machen, ohne Probleme kleinzureden.
Wir unterscheiden dabei zwischen der Zuwanderung jener, die im Rahmen der sogenannten „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ sowie der „Unionsbürgerschaft“ bei uns leben und arbeiten möchten und jener, die nur von unserem Sozialsystem profitieren wollen.
Wir wollen und brauchen Zuwanderung in Deutschland. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Unionsbürgerschaft der Europäischen Union sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft und für unseren Arbeitsmarkt. Das gilt auch bei uns in Thüringen. Gerade mit Blick auf unsere immer älter werdende Gesellschaft sind wir auf Arbeitnehmer angewiesen, die in unsere Sozialsysteme einzahlen. Zuwanderung braucht aber Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Nur dann wird sie als Gewinn empfunden, sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Zugewanderten selbst. Hierzu ist eine fest in der Gesellschaft verwurzelte Willkommenskultur nötig.
Wer will, dass die europäische Freizügigkeit auch in Zukunft akzeptiert und geschätzt wird, muss verhindern, dass sie durch Armutszuwanderung missbraucht wird. Wir dürfen nicht die Augen vor Problemen verschließen, die es zu lösen gilt. In einigen Kommunen in Deutschland führt Armutszuwanderung bereits zu erheblichen sozialen und finanziellen Schwierigkeiten. Es ist nicht Sinn und Zweck der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die sozialen Probleme anderer EU-Staaten über das deutsche Sozialsystem zu lösen. Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger bedeutet die freie Wahl des Arbeitsplatzes, nicht jedoch die freie Wahl eines sozialen Sicherungssystems, in das man einwandern möchte. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der letzten Jahre hat die Grundidee der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Unionsbürgerschaft überdehnt. Beide Rechte sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Die breite Auslegung des Wortlautes dieser Regelungen durch das Gericht gilt es zu hinterfragen.
Doch nicht nur die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat zu den aktuellen Entwicklungen geführt, sondern auch die Politik der Europäischen Kommission. Diese ist gefordert, den Gründen für die Armutszuwanderung schon in den Herkunftsländern zu begegnen und dafür zu sorgen, dass diese entsprechende EU-Fördermittel abrufen und zur Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort nutzen. Gerade die Migrationsbewegungen der Sinti und Roma haben zu Herausforderungen für einzelne Mitgliedsstaat geführt, für die es eine europäische Strategie braucht.
Deutschland nimmt bei der Lösung der aufgeworfenen Fragestellung eine Vorreiterrolle ein, indem die Bundesregierung einen Staatssekretär-Ausschuss einsetzt, der sich mit den Rechtsfragen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten auseinandersetzt. Hierauf blicken auch die anderen EU-Länder, die ähnlichen Herausforderungen gegenüberstehen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir durch eine lebendige und ehrliche Debatte die Akzeptanz für Zuwanderung stärken und die Vorteile der EU-Regelungen verdeutlichen können.