Brief aus Berlin – Nr. 14/2011

Die erste Sitzungswoche nach der parlamentarischen Sommerpause stand ganz im Zeichen des Bundeshaushaltes für das Jahr 2012. Darüber sowie über die Maßnahmen, die die christlich-liberale Koalition ergreift, um den Euro weiter zu stabilisieren, informiere ich Sie in diesem Brief aus Berlin. Außerdem verrate ich Ihnen in der neuen Rubrik „Hinter den Kulissen“ zukünftig jedes Mal etwas Wissenswertes, Spannendes oder Kurioses rund um den Deutschen Bundestag.

  1. Konsolidierung hat Priorität: Bundeshaushalt 2012
  2. Für die Bildungsrepublik: Aufwüchse bei BuF
  3. Stabile Eurozone: Flexibilisierung des Rettungsschirms
  4. Hinter den Kulissen: Hammelsprung

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1. Konsolidierung hat Priorität: Bundeshaushalt 2012
In erster Lesung haben wir in dieser Woche den Bundeshaushalt für das nächste Jahr diskutiert. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zeigt, dass die Konsolidierung des Haushaltes absolut prioritär behandelt wird. Prognostiziert ist, dass die Neuverschuldung in den Jahren 2012 bis 2014 in Summe den bislang geltenden Finanzrahmen um 25 Mrd. Euro unterschreitet. Dabei sind alle absehbaren Zusatzbelastungen wie die Kosten der Energiewende, ein steigendes Zinsniveau, Entscheidungen im Rahmen der Strukturreform der Bundeswehr sowie die deutsche Beteiligung am Europäischen Stabilisierungsmechanismus bereits eingeplant. Das Ziel der christlich-liberalen Koalition ist und bleibt, ab 2016 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. In den nächsten Wochen werden sich die Ausschüsse mit dem Haushaltsgesetz befassen. Die daraus resultierenden Änderungsvorschläge werden dann Ende November in zweiter Lesung beraten, ehe das Gesetz schließlich vom Bundestag in einer namentlichen Abstimmung beschlossen wird.

2. Für die Bildungsrepublik: Aufwüchse bei BuF
Der Haushalt für Bildung und Forschung (BuF) nimmt mit 12,8 Milliarden Euro den fünftgrößten Teil des Bundeshaushaltes (nach Arbeit und Soziales, Verteidigung, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Gesundheit) ein. Dabei ist es aber einer der wenigen Einzelpläne, der trotz der Konsolidierungsmaßnahmen noch einen kräftigen Zuwachs verzeichnen kann. Gegenüber diesem Jahr erlebt der BMBF-Haushalt eine Steigerung von knapp 10 Prozent. Damit können wir viele Maßnahmen und Projekte finanzieren, die uns dem übergeordneten Ziel – der Bildungsrepublik Deutschland – näherbringen. So fördern wir mit der Exzellenzinitiative die Spitzenforschung an Hochschulen bis 2017 mit insgesamt 2,7 Mrd. Euro. Der Pakt für Forschung und Innovation, der der außeruniversitären Forschung zugutekommt, erhält bis 2015 4,9 Mrd. Euro. Mit 8,3 Mrd. Euro beteiligt der Bund sich bis 2015 am Hochschulpakt, womit beispielsweise Studienplätze aufgestockt und die Lehrbedingungen verbessert werden. Aber auch Maßnahmen zur Forschungsförderung in Unternehmen, wie die Hightech-Strategie, zur Steigerung der Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Deutschland und zur Förderung der Innovation in den Neuen Ländern werden mit dem neuen Haushaltsplan weiter verfolgt.

3. Stabile Eurozone: Flexibilisierung des Rettungsschirms
Am Donnerstag haben wir in erster Lesung den Gesetzentwurf des Bundeskabinetts zur Änderung des „Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ (=StabMechG) beraten, das dem vorläufigen Euro-Rettungsschirm (EFSF) mehr Flexibilität verleihen soll. Mit der EFSF war im Mai 2010 ein temporärer Rettungsschirm aufgespannt worden, der im Jahr 2013 durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst werden soll. Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen aber, dass die Schlagkraft der EFSF in bestimmten Punkten gestärkt werden muss. Deshalb soll zum einen das Ausleihvolumen auf 440 Milliarden Euro und der Garantierahmen auf 780 Milliarden Euro erhöht werden, zum andern soll die EFSF neue Kompetenzen erhalten: Künftig kann sie sowohl Anleihen kriselnder Euro-Staaten aufkaufen als auch schon vorsorglich eingreifen und einem angeschlagenen Land Kredite bereitstellen, wenn Ansteckungsgefahren und eine Destabilisierung der Eurozone als Ganzes zu befürchten sind. Dabei setzt sich die Unionsfraktion für gestufte Mitwirkungsrechte des Bundestags bei der EFSF ein. Problematisch ist vor allem der zu leistende Balanceakt, die Budget-Hoheit beim Parlament zu belassen, aber gleichzeitig den Rettungsschirm handlungsfähig zu halten – was keinesfalls gegeben wäre, wenn vor jeder Entscheidung alle 17 nationalen Parlamente einzubeziehen wären. Deshalb sieht das Stufenmodell der Unionsfraktion vor, dass das Bundestagsplenum zu entscheiden hat, ob ein verschuldetes Euro-Land Hilfen beziehen soll. Für die bloße Anwendung der Instrumente oder im Falle ihrer Veränderungen würde eine Zustimmung des Haushaltsausschusses ausreichen.
Doch klar ist: All das sind lediglich Rettungsmaßnahmen, die den Euro im Krisenfall stabilisieren und die internationalen Finanzmärkte beruhigen, aber die strukturellen Probleme der Eurozone nicht lösen können. Bis heute ist der Euro die einzige Währung der Welt, der nicht eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik zugrundeliegt. Genau das ist in den Jahren der Wirtschaftskrise zum Problem geworden, so dass wir hier gegensteuern müssen. Neben verpflichtenden Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild in allen nationalen Verfassungen und einem Eingriffsrecht der Europäischen Kommission in die Haushalts- und Wirtschaftspolitik hoch verschuldeter Länder, sind auch weitreichendere Maßnahmen in der Diskussion, die das Fundament Europas grundsätzlich neu legen.
Für die Sorgen der Bürger habe ich viel Verständnis. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die europäische Einigung nicht nur historisch bedingt im ureigensten Interesse Deutschlands liegt, sondern auch wirtschaftlich. Da insgesamt 43 Prozent aller Exporte in die Eurozone führen, gehört Deutschland zu den großen Gewinnern der Euro-Einführung. Letztlich ist die Euro-Frage untrennbar verbunden mit der Frage nach der europäischen Zukunft. Wollen wir den Zusammenhalt Europas nicht gefährden, müssen wir den Euro sichern!

4. Hinter den Kulissen: Hammelsprung
Haben Sie sich schon mal gefragt, warum wir Abgeordneten manchmal einen Hammelsprung machen? Der Hammelsprung ist ein bestimmtes Abstimmungsverfahren des Deutschen Bundestages, das immer dann angewandt wird, wenn bei Abstimmungen per Handzeichen Zweifel bestehen. Dazu verlassen wir alle geschlossen den Plenarsaal und betreten ihn einzeln wieder durch eine von drei Türen, die jeweils für Ja, Nein oder Enthaltung stehen. Die Schriftführer zählen dabei genau mit.
Wie der Begriff eigentlich geprägt wurde, ist unter Historikern umstritten. Es heißt, der Name ginge auf ein Gemälde zurück, das über einer Tür im alten Reichstag hing. Das Bild zeigt den Zyklopen Polyphem aus der griechischen Mythologie, der seine Widder zählt, um zu verhindern, dass Odysseus ihm auf einem Tier reitend entkommt. Seit 1874 gibt es jedenfalls das Abstimmungsverfahren, das von Beginn an unter diesem kuriosen Namen lief.