Brief aus Berlin – 08/2012

Sicher haben Sie in den Medien die leidenschaftlichen Diskussionen um das Betreuungsgeld mit verfolgt. Das war aber nicht das bestimmende Thema dieser Berliner Sitzungswoche. Über weitere Themen möchte ich Sie gerne in diesem Brief aus Berlin informieren.

  1. Unionsfraktion will Lohndrückerei beenden
  2. Erste Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss
  3. Ausländische hochqualifizierte Fachkräfte willkommen
  4. Debatte um das Betreuungsgeld
  5. Hinter den Kulissen: Das Phänomen des leeren Plenums

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1. Unionsfraktion will Lohndrückerei beenden

Eine Arbeitsgruppe der Unionsfraktion hat ein Konzept zur Umsetzung einer allgemeinen Lohnuntergrenze auf tarifpartnerschaftlicher Basis vereinbart. Es verbindet gesellschaftspolitische Verantwortung und wirtschaftspolitische Vernunft. Wer arbeitet, der muss auch von seinem Gehalt leben können.

Indem wir Lohndrückerei beenden, schützen wir die Mehrheit der seriösen Arbeitgeber, gerade auch im Mittelstand, vor wettbewerbsverzerrender Lohnkonkurrenz. Zugleich sollen so die Tarifpartner gestärkt werden. Durch die tarifpartnerschaftliche Lösung wird gewährleistet, dass die Produktivität, die hinter der Arbeitsleistung steht, nicht ausgeblendet wird.

Die Strategie der branchenbezogenen Mindestlöhne ist der richtige Weg. Mit ihr haben unionsgeführte Bundesregierungen in Branchen mit rund vier Millionen Beschäftigten allgemeinverbindliche Mindestlöhne auf Basis der jeweiligen Tarifverträge eingeführt – darunter für Pflegehilfskräfte, Gebäudereiniger, in der Baubranche, der Zeitarbeit sowie im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Damit wurde bereits ein wichtiges Stück Ordnung auf den Arbeitsmärkten geschaffen. Die wissenschaftliche Begleitung durch unabhängige Forschungsinstitute hat bewiesen, dass es nicht zu den oft prognostizierten Arbeitsplatzverlusten bei tariflichen Mindestlöhnen.

2. Erste Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuss

Am Mittwoch haben wir Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Terrorgruppe NSU Generalbundesanwalt Harald Range getroffen. Dabei ging es um den Stand des Ermittlungsverfahrens und den Umgang mit Zeugen. Am Donnerstag wurden dann in der Sitzung des Untersuchungsausschusses erstmals Zeugen vernommen, darunter Wolfgang Geier, von 2005 bis 2008 Leiter der mit der Tötungsserie befassten bayerischen Soko Bosporus, und Oberstaatsanwalt Walter Kimmel, dem die Verantwortung für die Ermittlungen zu den fünf Morden oblag, die in Nürnberg und München verübt wurden. Viele unserer Fragen an die Zeugen bezogen sich auf mögliche Schwachstellen bei der Zusammenarbeit zwischen polizeilichen und geheimdienstlichen Instanzen. Dabei wurde aus meiner Sicht deutlich, dass es aufgrund der föderalen Struktur offenbar Kommunikationsdefizite zwischen den einzelnen Verfassungsschutzämtern gegeben hat. Wenn das der Fall ist, müssen wir dringend die Effektivität der Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden verbessern. Nur so können wir wirksam auch gegen rechtsextremistische Straftaten vorgehen.

3. Ausländische hochqualifizierte Fachkräfte willkommen

Der Deutsche Bundestag hat am Freitag ein Gesetz beschlossen, das hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland die Zuwanderung erleichtert. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Schritt für die Sicherung des Fachkräftebedarfs. Wenn wir in Deutschland Wohlstand und Wachstum sichern wollen, müssen wir die klügsten Köpfe für uns gewinnen und sie bei uns willkommen heißen. Da Unternehmen in bestimmten Bereichen keine ausreichend qualifizierten Mitarbeiter aus dem Inland finden, erleichtern wir hier die Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland. Jedoch werden gut ausgebildete Zuwanderer nur dann gerne bei uns leben wollen, wenn wir eine Willkommenskultur etablieren und ein Klima von Toleranz und Aufgeschlossenheit schaffen.

Auch die Bedingungen für ausländische Hochschulabsolventen, die dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, werden verbessert und ihr Berufseinstieg erleichtert. Neben dem Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist die Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie ein weiterer Baustein zur Sicherung des Fachkräftepotenzials in Deutschland. Unserem Grundgedanken Qualifizierung vor Zuwanderung trägt das Gesetzesvorhaben in ausreichendem Maße Rechnung.

4. Debatte um das Betreuungsgeld

Fast täglich gab es in der letzten Woche neue Diskussionen um das Betreuungsgeld. Dabei ist es mir wichtig klarzustellen, dass mit der Einführung eines Betreuungsgeldes eben kein bestimmtes Familienmodell bevorzugt wird. Es geht vielmehr um eine Ergänzung der bestehenden Familienförderung. Der weitere Ausbau der Krippenplätze ist davon unberührt. Ich finde, Eltern sollen frei wählen können, ob sie ihre Kleinkinder zu Hause betreuen oder das Angebot von Kinderkrippen nutzen. Mit einem Betreuungsgeld haben wir in Thüringen schon gute Erfahrungen gesammelt. Die Entscheidung von Eltern, ihren Nachwuchs in den ersten drei Lebensjahren privat zu betreuen, bedeutet zudem keinen arbeitsmarktpolitischen Rückschritt. Vielmehr müssen die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt familienfreundlicher gestaltet werden. Hier ist aber ganz klar die Wirtschaft gefordert, die es Eltern erleichtern muss, nach einer Betreuungszeit wieder in ihren Beruf einzusteigen. Dafür gibt es bereits viele positive Initiativen auf lokaler Ebene, die gerade die mittelständischen Betriebe für diese Thematik sensibilisieren.

5. Hinter den Kulissen: Das Phänomen des leeren Plenums

Oft werde ich von meinen Thüringer Besuchergruppen gefragt, warum häufig nur so wenige Abgeordnete im Plenum sitzen. Dieser Eindruck entsteht, weil in den Medien meistens das Bild leerer Reihen im Plenarsaal zu sehen ist. Der Grund ist ganz einfach: Wir Abgeordneten müssen auch während der laufenden Debatte weitere Termine außerhalb des Plenarsaals wahrnehmen. Dazu gehören Ausschusssitzungen, Treffen mit Behörden-, Interessen- oder Pressevertretern und Gespräche mit Besuchergruppen. Beispielsweise bin ich Mitglied im Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe NSU, der immer donnerstags parallel zu den Debatten im Plenum tagt. Ich kann daher unmöglich an beiden Sitzungen gleichzeitig teilnehmen.

Es ist aber auch nicht notwendig, dass alle Abgeordneten bei allen Debatten im Plenum anwesend sind. Die Entscheidungen, die im Plenum getroffen werden, werden in Arbeitskreisen, Fraktions- und Ausschusssitzungen nämlich ausführlich vorbereitet und diskutiert. Die Debatten im Plenum sind hauptsächlich für die Öffentlichkeit bestimmt. Vorwiegend nehmen daran die Vertreter der jeweiligen Fachausschüsse, die Fachleute der Fraktionen, teil. So bin ich zum Beispiel immer dann im Plenum, wenn es um Bildungsthemen geht. Die Abgeordneten, die nicht betroffen sind, nutzen die Zeit, um ihre weiteren Aufgaben wahrzunehmen.